Abschiebungen sind kein Königsweg
Eutin. Eine Rückkehrberaterin des Diakonischen Werks Ostholstein berichtet aus ihrer Praxis. Für Menschen, die in Deutschland eine Zukunft suchen sind die Zeiten schwer: Die AfD fabuliert über Deportationspläne, die CDU will Obergrenzen für die Zuwanderung setzen und Kanzler Olaf Scholz hat im Oktober in einem Interview verkündet: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“
Eine, die sich nachdrücklich gegen Abschiebungen wendet, ist Annika Engelke, die beim Diakonischen Werk des Kirchenkreises Ostholstein für die Rückkehrberatung von Flüchtlingen zuständig ist. Finanziert wird ihre Stelle durch den Asyl-, Migrations- und Investitionsfonds (AMIF) des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und Landesmittel, also nicht aus Kirchensteuermitteln. Derzeit ist sie eine von zwei Rückkehrberatern in Schleswig-Holstein, die aus Mitteln des Fonds gefördert werden. Daneben gibt es noch die Beratungsstellen in den Kreisen.
Engelke wird dafür bezahlt, Menschen zu beraten, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren wollen. Von mehr als 200 Menschen, die sie im vergangenen Jahr beraten habe, seien drei Menschen abgeschoben worden, 21 seien freiwillig ausgereist und für die meisten gäbe es eine echte Perspektive, in Deutschland zu bleiben, sagt Engelke. Dabei gehe es längst nicht nur um ungelernte Arbeitskräfte, sondern vor allem um Menschen, die beruflich alles mitbrächten, um den Mangel an Fachkräften in Deutschland zu lindern. „Wir wollen doch, dass Menschen, die hier wirtschaftlich aktiv sind, die gut integriert sind, eine Perspektive haben. Es erschließt sich mir nicht, warum wir in vielen Fällen genau diese Menschen zurückschicken“, so Engelke.
Sie wendet sich gegen Abschiebungen, sowohl aus wirtschaftlicher Vernunft, wie auch – und vor allem – aus Gründen der Menschlichkeit. „Ich möchte, dass der Mensch im Vordergrund steht“, sagt die Rückkehrberaterin. Abschiebungen sind aus ihrer Sicht – egal ob juristisch einwandfrei oder nicht – „traumatisierend und entwürdigend und unter Umständen auch eskalierend“, so ihre Erfahrung.
Dabei weiß sie, dass es auch Fälle gibt, in denen bei jeglicher Beratung Hopfen und Malz verloren ist. „Wer sechs bis zehn Jahre hier lebt, ohne anerkannt worden zu sein und durch alle Stufen des Asylverfahrens durch ist, sich nicht integriert hat und kaum Deutsch spricht“, für solche Menschen sieht kaum eine Chance mehr. Das gelte im Übrigen auch wegen nicht unerheblicher Straftaten verurteilte Asylbewerber, die jedoch eine Minderheit darstellten.
Als Beispiel für eine unverständliche Abschiebung nennt sie eine Architektin aus Nordafrika, die über die Ukraine nach Deutschland kam und ihren Sprachkurs auf Universitätsniveau abgeschlossen habe. „Die ist hochmotiviert und gut integriert – und soll dennoch abgeschoben werden“, sagt Engelke. Der Grund: „Unsere gesetzlichen Rahmenbedingungen lassen es nicht zu, dass sie sich ein Aufenthaltsrecht erkämpft.“ Ein anderes Beispiel: Ein Kurde, der laut Engelke fließend Deutsch spricht und seit vielen Jahren in Vollzeit arbeitet. Was ihm fehlt, ist der formelle Deutschnachweis. Nur deshalb stünden bei ihm alle Anzeichen auf Abschiebung. Er würde als Kurde in die Türkei abgeschoben und erhielte im schlimmsten Fall eine mehrjährige Wiedereinreisesperre für die Europäische Union.
Aus Sicht Engelkes läuft die Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde des Kreises zumindest auf Sachgebietsebene sehr gut. Vor allem wünscht sie sich mehr rechtliche Möglichkeiten, um auf humanitäre Gründe Rücksicht nehmen zu können. Dies zeige sich in ihrer täglichen Praxis auch immer wieder auf dem Königsweg für abgelehnte Asylbewerber. Und der lautet, so Engelke: „Die Person reist aus und reist mit einem Visum für einen legalen Aufenthaltstitel wenige Wochen später wieder ein.“ Sie selbst könne ich solchen Fällen Hilfestellungen geben. Doch meist komme es gar nicht dazu.
Denn teils sind die Betroffenen schlecht informiert oder bekommen schlechte Ratschläge, unzutreffende Informationen, die dann unweigerlich und manchmal sogar zu einer verfrühten Abschiebung führen können. Allerdings: „Es ist relativ selten, dass Abschiebungen de facto erfolgreich stattfinden können. Aus dem Jahresbericht des Hamburger Flughafens geht hervor, dass von 1520 im Jahr 2022 angekündigten Abschiebemaßnahmen aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern lediglich etwa 345 tatsächlich vollzogen wurden.“ Die Kosten pro Abschiebung schätzt Annika Engelke auf mehrere zehntausend Euro. „Das ist in höchstem Maße ineffizient.“
Die Kosten einer freiwilligen Rückkehr seien demgegenüber deutlich geringer und könnten sich im Höchstfall auf deutlich unter zehntausend Euro addieren. Denn es gebe für freiwillige Rückkehrer eine kleine Anschubfinanzierung, damit sie in ihrer Heimat durchstarten könnten, so Engelke. Sie berichtet von einer jungen Frau, die in Tschetschenien mit so einer Starthilfe eine Kita eröffnet hat. Zudem haben die Rückkehrer Unterstützung bei ihrer Reintegration im Herkunftsland durch Organisationen vor Ort, die sich mit den Rahmenbedingungen vor Ort auskennen.
Denn Deutschland ist nicht das gelobte Land wie viele Migranten denken. Viele von Engelkes Klienten wollen freiwillig ausreisen, weil es ihnen schwerfällt, sich zu integrieren, weil sie rassistische Anfeindungen erleben und Heimweh haben. Sie sind desillusioniert, wollen und können vielfach auch nicht mehr. Ihnen will sie ebenso eine Hand reichen wie denen, die in Deutschland eine echte Perspektive haben und die Gesellschaft bereichern können.
Geschrieben am:
11. April 2024