An der Lebensrealität komplett vorbei
Regionalleiterinnen des Kirchenkreis-Kitawerks fordern angesichts von Geld- und Personalmangel mehr Flexibilität bei gesetzlichen Vorgaben
Ein Unternehmer, der von sich sagt, dass er ohne Kita nichts unternehmen könne. Ein Busfahrer, der sich darauf verlassen muss, dass seine vier Kinder tagsüber betreut werden. Eine Beraterin, die aufzeigt, dass sie in ihrer Doppelrolle als Mutter und Unternehmerin permanent unter Druck gestanden habe: Es sind die Gesichter einer Kampagne der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände Schleswig-Holstein, die jüngst unter dem Titel „Küchenschürzenchallenge“ auf die Gefahren einer Unterfinanzierung des Kita-Systems im Land aufmerksam machen wollte.
Die Befürchtung der Verbände, darunter auch kirchliche Träger wie die Diakonie Schleswig-Holstein und die Caritas: Wenn der „dramatischen Unterfinanzierung“ des Kita-Systems in Schleswig- Holstein nicht entgegengesteuert werde, gehe dies nicht nur zu Lasten der Öffnungs- und Betreuungszeiten und der Qualität, sondern vor allem zu Lasten der Eltern und der Wirtschaft. Denn wer sich nicht auf seine Kita verlassen kann, muss letztlich die Küchenschürze überstreifen und zurück an den heimischen Herd und sich um die Kinder kümmern, so die provokante These der Kampagne.
Silja Wietstock und Karin Meier, Regionalleiterinnen des Kitawerks des Kirchenkreises Ostholstein, haben täglich mit den Auswirkungen eines Systems zu tun, in dem es an vielen Enden fehlt. Die Kampagne der Wohlfahrtsverbände, unter anderem mehr Geld für die Kitas einzufordern, finden sie genau richtig. Allerdings machen sie in ihrer täglichen Arbeit in erster Linie der Fachkräftemangel und hohe Krankenstände das Leben schwer. „Die kurzfristige Schließung von Gruppen oder eine Reduzierungder Öffnungszeiten gehören zum traurigen Alltag in unseren 28 Kitas“, sagt Silja Wietstock. Aus ihrer Sicht fehlen Lösungsansätze, die sich auch tatsächlich realisieren lassen. Die Praktikerinnen kritisieren deshalb vor allem Regelungen im neuen Kindertagesförderungsgesetz (KiTaG) des Landes. „Darin enthalten ist zum Beispiel das sogenannte Qualitäts-Standard-Kosten-Modell, das Maßstäbe für die Qualifikation von Fachkräften setzt. Aber diese können derzeit überhaupt nicht erfüllt werden und außerdem sind sie praxisfern“, findet Wietstock.
Beispiel Nachqualifikation von Personal, eine Maßnahme, die de facto kaum stattfinde: Kursangebote fielen aus, kämen absehbar nicht zustande oder würden gar nicht erst angeboten, ergänzt Kollegin Karin Meier. „Zudem finden sie oftmals als Blockmodell während der regulären Arbeitszeit statt, wenn die Mitarbeitenden in den Kitas sind. Was wir brauchen, sind Abend- oder Wochenendkurse“, fordert sie. Zudem wirkten Fachkräftestrategien immer zeitversetzt und würden ihre Wirkung erst nach einigen Jahren voll entfalten.
Mit großer Skepsis sehen die Regionalleiterinnen den nach dem neuen Gesetz verschärften Betreuungsschlüssel. Silja Wietstock: „Da wir uns als Träger explizit an diese Vorgaben halten, führt dies – insbesondere bei kleineren Einrichtungen – mitunter zu reduzierten Öffnungszeiten oder gar zur Schließung ganzer Einrichtungen. Ausnahmegenehmigungen erhalten wir vom Kreis Ostholstein in der Regel nicht.“ Stattdessen werde von Seiten des Kreises immer wieder auf die Streichung von Finanzierungsmitteln aufmerksam gemacht, wenn die Vorgaben des KiTaG nicht eingehalten werden könnten. Das sei einerseits verständlich, andererseits gehe es eben „an der Lebensrealität komplett vorbei“, so Wietstock. „Ich sehe, dass die Landesregierung Versuche unternimmt, etwa über den Einsatz sogenannter ‚helfender Hände’ oder die Förderung praxisintegrierter Ausbildungsplätze die Situation zu entschärfen. Doch das reicht nicht aus. Was wir brauchen, sind mehr finanzielle Mittel und vor allem die Möglichkeit, mit den sehr hohen gesetzlichen Anforderungen flexibler umzugehen, wenn uns einfach qualifiziertes Personal fehlt.“ Karin Meier und Silja Wietstock sind sich einig: „Letztendlich sollte es darum gehen, dass unsere Kinder gut und behütet in unseren Kindertagesstätten groß werden und das eine verlässliche Betreuung sichergestellt werden kann.“
Geschrieben am:
13. Januar 2024