Predigt von Propst Dirk Süssenbach zum Erntedankfest 2022

Liebe Gemeinde, welche Fülle und Vielfalt an Erntegaben ist uns an diesem Sonntag wieder vor Augen gestellt, wenn wir auf den festlich geschmückten Erntedanktisch hier in der St. Antoniuskirche schauen. Und gleichzeitig stehen mir so ganz andere Bilder aus diesem Jahr vor Augen. Ausgetrocknete Flüsse, staubige Böden, vertrocknete Pflanzen auf den Feldern – Wasserknappheit und […]

Liebe Gemeinde,

welche Fülle und Vielfalt an Erntegaben ist uns an diesem Sonntag wieder vor Augen gestellt, wenn wir auf den festlich geschmückten Erntedanktisch hier in der St. Antoniuskirche schauen.

Und gleichzeitig stehen mir so ganz andere Bilder aus diesem Jahr vor Augen. Ausgetrocknete Flüsse, staubige Böden, vertrocknete Pflanzen auf den Feldern – Wasserknappheit und Dürre in weiten Teilen unseres Landes.

Auch wenn wir in Ostholstein nicht ganz so schwer betroffen waren – der von uns Menschen verursachte Klimawandel zeigt sich auch bei uns mit immer neuen Hitzerekorden und stellt unsere Landwirtschaft vor neue Heraus-forderungen.

Dazu die Bilder aus dem Krieg in der Ukraine: Landwirte, die mit schusssicherer Weste und Stahlhelm auf ihre Felder fahren, um sie zu bestellen oder abzuernten. Zerstörte Landmaschinen, die auf Mienen gefahren sind oder von russischen Piloten angegriffen werden.

Weil Getreide aus der Ukraine nur noch schwer ausgeführt werden kann, kommt es zu Engpässen bei der Welternährung. Krieg wird eben nicht nur mit Waffen, sondern auch mit dem täglichen Brot geführt. Und wir alle wissen, neue Probleme bei der Welternährung werden uns auch weltpolitisch neuen Unfrieden bescheren.

Fehlendes Saatgut, deutlich gestiegene Preise für Kraftstoff, Energie und Düngemittel haben auch unsere Landwirte die Auswirkungen dieses Krieges in diesem Jahr spüren lassen. Und mancher Haushalt in unserem Land wird angesichts der hohen Inflation und Gaspreise in diesem Winter den Gürtel deutlich enger schnallen müssen.

Da fällt das Danken dem einen oder anderen von uns vielleicht deutlich schwerer, als in den zurückliegenden Jahren. Eigentlich möchte sich die Klage zu diesem Anlass in den Vordergrund stellen, aber wir sollten dieser Versuchung nicht all zu schnell nachgeben.

Wie heißt es doch in der Lesung aus dem 8. Kapitel im 5. Buch Mose heute morgen: „Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den Herrn deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat. So hüte dich nun davor, den HERRN deinen Gott zu vergessen (…).“ (Vers 10+11).

Ja, auch wenn die Verbraucherpreise bei uns steigen, von einer Nahrungsmittelknappheit  kann bei uns in Deutschland keine Rede sein, weil wir noch immer ein Selbstversorgerland sind. Da sind weite Teile dieser Erde in einer sehr viel schlechteren Ausgangssituation. Und natürlich werden wir gesellschaftlich darauf achten müssen, dass denen geholfen wird, die keine Reserven haben, diese Verteuerung im alltäglichen Leben so einfach zu kompensieren.

Auch in unserem Kirchenkreis in Ostholstein denken wir über die Schaffung von Suppenküchen und Wärmestuben in diesem Winter in unseren Gemeindehäusern nach, so dass Bedürftige eine warme Mahlzeit umsonst und tagsüber eine warme Stube aufsuchen können. Denn wir haben es mit Verteilungsproblemen und Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu tun, aber nicht mit einem echten Mangel an Grundnahrungsmitteln.

Liebe Gemeinde, der Wechsel von guten und schlechten Zeiten, hat von jeher zu den Merkmalen der Geschichte gehört. Von Herausforderungen, die bestanden werden müssen, bevor ein neuer Entwicklungsschritt vielleicht auch eine neue Blütezeit oder Friedensepoche anbrechen lässt. Eine Wahrheit, von der auch die Bibel an vielen Stellen erzählt, so auch in unserem Abschnitt aus dem 5. Buch Mose:

„Wenn du nun gegessen hast und satt bist (…) dann hüte dich, dass dein Herz sich nicht überhebt und du den HERRN deinen Gott vergisst, der dich aus Ägyptenland geführt hat, aus der Knechtschaft, und dich geleitet hat durch die große und fürchtbare Wüste, wo feurige Schlangen und Skorpione und lauter Dürre und kein Wasser war, und ließ die Wasser aus dem harten Felsen hervorgehen und speiste dich mit Manna in der Wüste, von dem deine Väter nichts gewusst haben (…)“ (Verse 12-16).

Wer ist es, der hier seinem Volk den Weg durch die Wüste zeigt, das Volk aus der Sklaverei in Ägypten heraus und in ein neues Land führt, wo Milch und Honig fließen? Wer ist es, der die Kraft gibt, schlechte Zeiten auszuhalten und Herausforderungen zu bestehen: Es ist Gott selbst, der die Kraft gibt und an unserer Seite steht, um seinen Bund in Treue zu erfüllen, in den er uns in Jesus Christus mit hineingenommen hat.

Dieses Krisenjahr lehrt uns: Unsere Versorgung mit Lebensmitteln ist nicht nur vom Klimawandel, sondern auch vom Frieden abhängig. Unseren Landwirten gilt es für ihre Arbeit und Mühe unter diesen erschwerten Bedingungen ganz besonders Dank zu sagen zu diesem Erntefest. Und deutlicher als in anderen Jahren erkennen wir, dass es auch für uns überhaupt keine Selbstverständlichkeit ist, trotz modernster Landmaschinen-Technik genug zum Leben zu erwirtschaften. Und so bekommt das alte Lied aus dem Gesangbuch – „alle gute Gabe, kommt her von Gott dem Herrn – drum dankt ihm dankt und hofft auf ihn“ – ganz plötzlich eine ganz andere Aktualität.

Wir leben in Zeiten, zu denen ein altes Lutherwort gut zu passen scheint: „Bete, als ob alles Arbeiten nichts nützt, und arbeite, als ob alles Beten nichts nützt!“ Natürlich gilt es an den aktuellen Problemen des Klimawandels, des Friedens in der Welt, der Welternährung und der sozialen Gerechtigkeit tagtäglich zu arbeiten. Aber die notwendigen Veränderungen in den Herzen der Menschen, die sich in einer anderen Haltung ausdrückt, die kann nur Gott bewirken – und Gott will gebeten sein. Darum bin ich dankbar auch für die Friedensgebete, die in der Neukirchener Gemeinde seit Kriegsbeginn regelmäßig stattfinden.

Angesichts der großen Probleme in dieser Welt, lohnt es sich vielleicht, gerade für die kleinen Zeichen der Liebe und Treue Gottes einen neuen Blick zu bekommen und die Dankbarkeit neu zu üben.

(Gekürztes Predigtmanuskript von Propst Dirk Süssenbach zum Erntedankfest 2022, gehalten am 2. Oktober in Neukirchen/Oldenburg; Lesung dazu: 5. Buch Mose, Kapitel 8, Verse 7-18)

Geschrieben am:

2. Oktober 2022

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